Kulturelle Höhepunkte des Dezembers in Altenboitzen gibt es einige. Nichts im Vergleich zu den mehrsprachigen Kindertheaterstücken meiner Jugend, aber immerhin werden Puppenspiele und Lesungen aufgeführt. Dieses Jahr war das Highlight ein internationales Weihnachts-Wohnzimmerkonzert.
Die Botschaft solcher Konzerte ist immer gleich; eine Mischung aus melancholischer Winterstimmung und Weihnachtsmann. Die Gastgeber sind sehr erpicht darauf, dass es ein Christkind ist, das kommt. Wie leicht der Umschwung messianischer Hoffnung in eine Märchenstunde funktioniert, erschüttert mich alljährlich: meine „besinnlich“-sinngebenden Überlegungen und Reflexionen der vergangenen Monate, die ich um small-talk bemüht zum Besten gebe, werden zermalmt. Einerseits von Christen, von denen niemand zur fundamentalistischen Konsequenz bereit ist, wenigstens daran zu glauben, dass Gott in ihnen lebt, sondern die konsumkritisch das Christkind gegen Coca-Cola-Klamotten preisen. Die andere Seite ist das Gemisch aus Atheismus und New Age, wo die Wintersonnenwende oder der abstrakte Wert des Glaubens gepriesen wird. Von diesem small-talk, der Zustimmung auf ein paar Sätze, um den Frieden zu wahren, weiß ich schon, dass er auf die Errichtung von Lagern ausgerichtet ist.
Die Interpreten waren sehr professionell. Eine Opernkomponisten verstand es, den Abend an Klavier und Keyboard zu begleiten und die schönen Seiten des deutschen Herbsts aus baltischen Augen vorzustellen – das Wetter, nicht den Terror, denn der Liedernachmittag war so auf Harmonie bemüht und steril, dass das Publikum für seine Hoffnung auf ein idyllische Welt sich Estonia oder gleich Hobbington zum Vorbild nehmen kann. Ein paar Popsongs, schwedische, finnische, estnische und deutsche Weihnachtslieder sopran gesungen, dass ein Knabenchor neidisch würde, und die ich allerdings faszinierend finde, gerade weil ich selber keine Note halten kann.
Ansonsten war im Dezember nicht viel los. Ich war bei einer Zahnreinigung und habe dort ein kleines Wunder erlebt: die Reinigung war aufwendig, denn offenbar war ich mit meiner Zahnpflege nicht so sorgfältig wie andere Jahre, doch nach einigen Minuten konnte ich mich entspannen! Ich wusste, dass noch viele Instrumente Anwendung finden müssen und habe mich dem Schicksal ergeben. Die grummelnden oder schrillen Geräusche gerieten aus dem Fokus, der Griff um die Armlehne lockerte sich, mein Wunsch wegzulaufen schwand, ich konnte ihn los- und schöne Gedanken zulassen. So habe ich mich auch auf dem estnischen Weihnachtskonzert gefühlt.