Nach dem Schlusspfiff war die Stimmung gemischt. Der St.Pauli-Fan meinte, es wäre ein Spiel auf Zweitliganiveau und hatte damit sicherlich nicht Unrecht. Ich hatte den Eindruck, die Punkteteilung kam wegen dem späten Tor einem Sieg gleich, suchte Annika und Märten, um sie zu beglückwünschen und wurde auf der Suche noch von einigen Anderen geherzt. Eine Viertelstunde nach dem Spiel, als die Spieler ihre Ehrenrunde gedreht hatten, räumten die Ultras ihr Equipment ein; viele Bündel voller Fahnen und Säcke voller Spruchbänder und wir verließen den Innenbereich. In den Katakomben wurden noch zwei Lieder angestimmt, die widerhallten. Die ungefähr 100 Jugendlichen beeindruckten die übrigen Fans im Gang ungemein, man wurde bestaunt, der Weg wurde frei gemacht.
Ich unterhielt mich mit einem Jungen, der fragte, wie ich das Spiel fand. Ich meinte, ich sei begeistert wegen der Spannung und enttäuscht über die mangelnde Klasse. Er nickte und wirkte verunsichert. Ob ich mal wieder mit ihnen Fussballspielen würde, fragte er. Ich meinte, dass ich das lieber in meinem Sportverein mache. Ich wusste seinen Namen nicht mehr, war aber müde, dauernd nach den Namen zu fragen, die ich wieder vergesse, und ließ es bleiben. Wir stellten uns zu einer Gruppe und lauschten ihren Spielanalysen. Es wurde über den Vorsänger der RV gelästert.
Im Fanprojekt angekommen begrüßte mich Tomas Hafke aufgedreht mit einem Weizenbierglas in der Hand, das er sogleich leerte und wieder füllte. Er fragte, wozu ich genau forschte, ich sagte, dass es noch nicht sicher sei, aber es gehe um Konflikte im Fussball. Seine Bemerkungen dazu habe ich wieder vergessen, sie interessierten mich nicht.
Als ich das Fanprojekt wieder verließ waren die meisten bekannten Ultras verschwunden, es war nicht mehr viel los, einige Grüppchen Ultras standen in gebührendem Abstand zur Polizeikette und unterhielten sich. Jenseits dieser Kette gingen die sogenannten Normalo-Fans in Richtung Park&Ride.
Ich setzte mich auf ein Geländer in der Nähe der Polizei, trank meinen Café, beobachtete das Geschehen und hielt Ausschau nach den Ultras.
Nach ein paar Minuten passierte bei den Polizisten eine Wachablösung. Die 20 Cops wurden abgelöst von einer anderen Einheit von 8 Polizisten. Sie zeigten auf mich und redeten über mich, stellten sich dann einige Meter neben mir an das selbe Geländer, setzten ihre Helme ab und schienen so entspannt, wie ich mich fühlte. Ich wusste, dass die Polizei mit den Ultras quasi qua Definitionen einander nicht akzeptieren. Beide beanspruchen die Hoheit über das Stadion.
Ich fasste mir ein Herz und ging auf die nächste Bulette zu und sprach sie an. Sie wirkte verunsichert. Wegen meiner schwarzen Jacke und Jogginghose wusste ich, dass sie mich als potenzielles Täter/Opfer ansahen, daher versuchte ich besonders höflich zu sein. Ich stellte mich vor und behauptete eine Forschung zu Fussball und Gewalt zu betreiben und deswegen an ihren Erfahrungen interessiert zu sein. Die Anfang 20-jährige Frau meinte nicht zu wissen, ob sie mir weiterhelfen dürfe und der etwas ältere 1,90m große junge Mann neben ihr sagte, dass ich mich an die zuständigen Stellen wenden sollte. Ich grinste in mich hinein, denn ich finde die Unsicherheit der Polizisten mit Helm und Schlagstock faszinierend und den Verweis auf den Amtsweg lachhaft. Deswegen äusserte ich Verständnis für die miesen Arbeitszeiten, die sie alle inkauf nehmen müssen, um einmal verbeamtet zu werden. Dafür erntete ich kollektiv zustimmendes Nicken.
Dann hakte ich nach, die Meinung der Pressestelle interessiere mich nicht, denn die muss nicht jedes Wochenende einem Haufen chaotischer und teils aggressiver Jungendlicher gegenüberstehen. Auch dazu erntete ich Zustimmung, bemerkte aber den Blickkontakt der Polizisten untereinander, den ich auf mich bezog, denn meine Erscheinung ließ wohl eher auf einen Ultra als auf einen Studenten schließen. So sagte die unsichere Bulette auch, dass sie dazu wirklich nichts sagen dürfe und ich „doch lieber erstmal bei Euch anfangen“ sollte, also bei den Ultras, dachte ich mir dazu. Meine Laune war bestens, denn meine Verkleidung als Ultra schien perfekt.
Ich sprach mein Outfit an und erklärte, dass ich so aussehen müsse, sonst käme ich nicht in die Kurve der Ultras. Sie sollten deswegen nicht verunsichert sein, ich hätte ein wirkliches Interesse an Ihrer Meinung und fragte, ob sie denn in zwei Wochen bereit wären meine Fragebögen zu beantworten. Die Bulette sagte, sie hätte nicht jedes Wochenende Bereitschaft.
Da sich eine Art Gespräch zwischen uns entwickelte fragte ich indiskret, ob sie sich denn sicher fühlte ihren Dienst so zu verbringen, und ob sie genügend Informationen über die besondere Gefahrenlage bei besonderen Spielen habe. Das war ihr wohl zu offensiv, sie tippte hilfesuchend ihren Kameraden an, der sich mittlerweile wieder umgedreht hatte. Ich wiederholte die Frage und er wiederholte ausführlich den Verweis auf den Amtsweg. Ich musste mein Lachen wegen dieser Antwort und dem zustimmenden Nicken der Bulette nun ernsthaft unterdrücken.
Dieser Bulle schien so etwas wie ein Redels-/Staffelführer oder zumindest Dienstältester zu sein, darum fragte ich ihn auch nochmals nach der Möglichkeit meine Fragebögen auszufüllen. Als er auch darauf mit seiner Nichtzuständigkeit antwortete, beschloss ich das Gespräch zu beenden, denn ich konnte mein Lachen kaum noch unterdrücken. Also sagte ich, dass ich Ämtern, Beamten und Stempeln nicht sonderlich zugetan bin und ihnen einfach ein paar Bögen in die Hand drücken und es ihnen überlassen werde, die nötigen Stempel abzuholen.
Mein Grinsen schien nicht abwertend rüberzukommen, denn die Bulette erwiderte es freundlich und so verabschiedete ich mich mit einem flapsigen und ironisch gemeinten ‚Bis Bald‘. Anstatt zu den Ultras zu fahren, beschloss ich nach Hause zu gehen um meine Erfahrungen aufzuschreiben.