Januar 5, 2014

Essay zu Werder und Wiesenhof

Los Pollos Hermanos

 

Kicken mit Chicken oder so ähnlich heisst es 20 Monate für den SVW. Ein Hühnerhaufen, Hühnerbrüste und gackernde Hennen auf den Rängen, die Sportkommenatorenwelt ist begeistert. Der Verein ist um einige Millionen reicher, im Stadion gibt es jetzt kalorienbewusste Chickenburger und dennoch sind die Fans nicht zufrieden, das „System Wiesenhof“ nun auf ihren Farben zu erblicken.

 

Das System Wiesenhof

 

Die PHW Gruppe als Muttergesellschaft von Wiesenhof setzt jährlich über 2.000.000.000 € um, vor allem durch Zucht, Produktion und Handel von etwa 225.000.000 Hühnern. Die Kritik der Tierrechtsorganisation Peta bezieht sich auf den Firmenslogan „Verantwortung für Mensch, Tier und Umwelt“. Nach Peta Recherchen sind unterbezahlte und eventuell illegal Beschäftigte ein Aspekt, leidende, kranke, sterbende Tiere, sowie die gesunden Tiere, die in den Mastanlagen überleben dank der Antibiotika, welche der Kunde später verspeist. Und die Umwelt wird auch in Mitleidenschaft gezogen. Eine ARD-Reportage meldet vertrocknete Brunnen rund um die Firmenzentrale bei Oldenburg.

Den Arbeitern wird so wenig Geld wie möglich gezahlt, die Tiere werden produziert um verkauft zu werden, die Produktion wird auf die größte zu erwartende Gewinnspanne ausgerichtet und wenn dabei ein Wald gefällt, ein Fluss vergiftet oder ein Brunnen leergepumpt wird, spielt nur eine Rolle für die Rechtsabteilung. Den Vorstandsvorsitzenden nennen wir mal Paul-Heinz, obwohl Kapitalist treffend wäre, seine Unternehmer Bauern und seine Lohnarbeiter haben bestimmt proletarische Attitüden. Das „System Wiesenhof“ ist schlimm, nennen wir es doch beim Namen, „soziale Marktwirtschaft“.

 

Sozial engagierter SVW sponsored by Schlachterei Zimmermann GmbH

 

Sozial hört sich die ganze Wiesenhof-Geschichte wirklich nicht an, und es stoßen immer wieder Widersprüche aufeinander. Wenn Tierschützer+innen erfolgreich Gesetzesverstöße beweisen, Gewerkschafter höhere Löhne erkämpfen, die Leute feststellen, dass Tierprodukte schlecht und viel zu teuer sind oder irgendwo giftige Tiernahrung gefunden wird, schmälert sich der Absatz. Staat und Gesellschaft haben hier ihre Mittel, die Produktion zu beeinflussen.

Paul-Heinz merkt also, dass viele Kunden seine Sachen nur kaufen, wenn sie einen Bio-Stempel haben, also kauft er sich Biobauernhöfe. Er kauft sich Mastanlagen in der Ukraine, weil er sich deutsche Tarife nicht mehr leisten will, und die Leute dort legal zu niedrigeren Löhnen arbeiten, vielleicht investiert er auch in eine Sojafabrik um an der Tofu-Welle teilzuhaben und gründet ein Nahrungsmittelkontrollunternehmen. An seiner Politik, möglichst rentabel zu produzieren, ändert er nichts.

Ist der Ruf erst ruiniert, wird mit Sponsoring brilliert. Eine breite Öffentlichkeit bietet der Sponsoringvertrag mit Werder. Der späte Zeitpunkt, die sozial engagierten Fans, ein paar Betriebsbesichtigungen – der Rummel ist für den Sponsor gut. Der nette Provinzclub mit dem sozial engagierten Image bekommt das viele Geld aber nicht für internationale Werbeauftritte, sondern für das Risiko, in einen Lebensmittelskandal verwickelt zu werden und sich von einem Sponsor trennen zu müssen, um das Image zu bewahren. Das ist das Risiko für beide Parteien, von dem Klaus Allofs spricht.

 

Das Gute leben

 

Viele Werderfans protestieren aber nicht gegen den Risikofaktor Imageverlust oder gegen die Chickenburger und Werbung im Stadion, sondern ganz bewusst gegen Fleischkonsum. Einerseits wird die rohstoffintensive Fleischindustrie für mitschuldig am Welthunger erklärt und andererseits soll die Befreiung der Tiere zur Befreiung der Menschen führen.

In einem guten Leben wird vielleicht weniger Fleisch gegessen, aber weniger Fleisch zu essen, ist noch für viele noch nicht gut. Erst, wenn für die Bedürfnisse der Menschen und nicht für Profite produziert wird, stehen auch die Menschen im Vordergrund. Derzeit verhungern die Menschen nicht, weil es zu wenig Nahrung gibt, sondern weil es profitabler ist, einen Tanker Getreide ins Meer zu kippen, anstatt es im Hafen zu verschenken.

Wenn Paul-Heinz jetzt alle Tiere und Menschen als Freunde betrachtet, sie befreit, ihnen alles gibt, was sie brauchen, um möglichst gut leben zu können, bleibt nicht mehr viel übrig, um auf dem Markt noch etwas zu verkaufen, dann werden auch die Arbeiter befreit, und um es allen recht zu machen, verkauft er seine Firma und verschenkt das Geld. Der neue Besitzer hätte sein Geld auch selber verschenken können, er überlegt sich aber, dass er mit der Firma viel mehr Geld machen kann, fängt an zu rechnen und es geht von vorne los.

Wenn jeder von uns bewusst konsumiert und versucht korrekte Produkte zu kaufen, verändern wir bestimmt die Nachfrage auf dem Markt. Dazu müssen wir aber erst mal viel arbeiten, denn derzeit ist es vor allem teuer, zapatistischen Cafe, bio-Milch, Ökotomaten und gewerkschaftsfreundliche Limo zu kaufen, und wir ändern nichts an den Produktionsverhältnissen.

 

Im Stadion

 

An Paul-Heinz können wir vorzüglich aufzeigen, wie ein Typ aus viel Geld ganz viel Geld macht, der Traum eines jeden Produzenten. Auf diesem Stand der Technik springt aus seiner Firma sogar noch der Mehrwert ab, die Finanzierung für einen Profifusballer zu stellen. Und deswegen fangen wir an zu meckern; alles ist wie immer, nur dass wir von Werders Spielern andauernd an die Gräuel des Kapitalismus erinnert werden. War das schon mal anders, seit der SVW so ein tolles Image hat?!

 

Wir gehen weiterhin ins Stadion, und wir freuen uns auch weiterhin, wenn Nazis aus der Kurve fliegen, Sexisten dumme Sprüche ernten und Rassismus angeprangert wird. Wir freuen uns über die Gesellschaft anderer hoffnungsloser Ultra, deren Stimmung wir in das Stadion tragen wollen, und deren politische Bildung nicht beim Hass auf Paul-Heinz stehen bleibt.

 

Grüße gehen raus an Flyer2.0 und die Gazetta, die sich mit der Kritik an SAP und RB auseinandersetzen.

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert