November 20, 2012

Neue Runde – Alte Firma

Mein Kumpel Roy hat sich die Mühe gegeben seine Ansichten zu veröffentlichen. Ich wollte den Text zunächst nicht übersetzen, weil ich nicht d’accord bin. Ich wollte ihn kommentieren, habe mir Mühe gegeben, und dann sagte mir das Blog ‚Arschlecken‘. Darum schreib ich mal wieder hier( und habe damit das Recht Kommentare zu löschen, ein herrschaftliches Gefühl der Macht).

Cher Roy.

Merci pour le blog. Merci Britta aussi pour la traduction.

Dein Artikel ist für (Anti-)Deutsche, um sie zu überzeugen, dass die israelische Regierung keine Unterstützung verdient!? Diese Motivation und die Rhetorik von „Noch nicht überzeugt?“ reicht für ideologisch gefestigte ADs wahrscheinlich schon, um deine Argumente abzulehnen.

Zudem bringst Du den Vergleich mit der Old Firm, was viele Antideutsche am Weiterlesen hindern wird, wegen Relativierung und so. Als Fussballverrückter störe ich mich nicht daran, auch wenn Bibi und Co in einer anderen Liga spielen, und Spiel überhaupt schon euphemistisch ist.
Du ziehst den Vergleich heran, um das Interesse am Konflikt der Regierenden in Gaza und Jerusalem zu verbildlichen. Dass es um etwas anderes geht, als um Merchandize, TV-Rechte und volle Stadien, wird mehr oder weniger deutlich.

Auch Deine Polemik gegen die israelische Regierung, ihr Hobby sei es Gaza zu bombardieren, schreckt bestimmt viele vernünftige Leute ab. Es ist nicht ihr Hobby, auch nicht ehrenamtliche Tätigkeit, sondern Beruf, nur dass Antideutsche, Antiimperialisten und Du diesen Beruf gerne anders ausgeübt hätten, aber dazu unten mehr.

Während Du beim Old Firm nur Spekulationen über die Verantwortung der Vereine für die Eskalationen anstellst, soll im Gazakonflikt das Handeln der Regierenden dargestellt werden, um deren Interesse am Konflikt zu beweisen.
Ich unterstelle Dir mal, dass Du viele antideutsche und antiisraelische Positionen kennst, die jeweils Hamas oder Israel allein für den Krieg verantwortlich machen, und willst beide Seiten mit diesem Text überzeugen, dass sie falsch liegen.
Als Argument gegen beide führst Du an, dass der Konflikt immer dann eskaliert, wenn eine Partei innenpolitischen Rückenwind braucht.

Allgemeiner gesagt heisst das: eine Regierung will ihre Macht erhalten und ausweiten, und dafür tut sie alles Mögliche. Soweit gehe ich d’accord.

In Deinen Beispielen gibt es aber ein paar Probleme, auf die ich eingehen möchte:

Erstes Beispiel beschreibt, dass eine Zahal-Operation das Gegenteil von dem bewirkte, was ihr offizielles Ziel war, nämlich Raketenbeschuss auf Israel zu verhindern. Du legst nahe, dass dies nicht der eigentliche Grund war. Dazu finde ich drei Punkte erwähnenswert.

Eine Beurteilung der Operation Cast Lead nach der Skala „Sicherheit Israels Bürger“ fällt bei Antideutschen dann so aus: Super, Hamas wird bekämpft, bei Israelkritikern andersrum: „noch mehr Babies getötet/Hass geschürt“.
Die Behauptung, dass die israelische Gazapolitik den Raketenbeschuss provoziert, ist schwer zu halten und schwer zu widerlegen. Es sind Spekulationen, zu behaupten, ohne CastLead würden weniger Raketen geschossen, oder aber das Ziel wäre ein kontinuierlicher Raketenbeschuss.

Um diese Spekulationen aus dem Reich der schwer zu beweisenden Theorien und Kaffeesatzleserei zurück in Deine Analyse des Konflikts zu holen, behaupte ich, dass Regierungen nicht moralisch handeln. Sie stellen sich und ihre Handlungen als moralisch dar, aber sie können mit ein paar Toten leben, mit ein paar Auswanderern, mit ein paar Terroristen, mit ein paar Raketen, etc. solange, wie dies keinen Machtverlust bedeutet. Also vielleicht hast Du recht, was Cast Lead angeht, vielleicht auch nicht, das Einzige was Deine Behauptung erreichen kann, sind Sympathien oder Antipathien, aber keine richtige Beurteilung dessen, was da abging.

Zum Dritten ein weniger spekulativer Punkt: es ist ein erklärtes konstitutives Ziel aller demokratischer Staaten, die körperliche Unversehrtheit seiner Bürger, also das Recht ausschließlich Gewalt auszuüben. Körperliche Unversehrtheit meint nicht, dass die Regierungen alles tun, damit es den Menschen gut geht( siehe leere Kühlschränke). Der Laden funktioniert einfach nicht, wenn alle im Bunker hocken, sich umbringen und nicht in Ruhe zur Arbeit gehen können.

Das zweite Beispiel
behandelt immer noch die Operation Cast Lead’09:

Ohne Quellencheck glaube ich Dir, dass Barak seine Fähigkeit als Defence-Futzi beweisen wollte, um wiedergewählt zu werden. Genauso machen Economy-Futzis auch mal Steuersenkungen oder Subventionen, um Wähler zu gewinnen, auch wenn sie sonst das Gegenteil machen.
Wenn Du sagst, die Wahl zu gewinnen sei das „eigentliche“ Ziel von CastLead, unterstellst Du, dass dies besonders schlimm sei. Raketenabschüsse zu verhindern wäre in dieser Argumentation als Ziel OK. Damit begibst Du Dich aber auf den Standpunkt des Allgemeinwohl Israels, ein schwer zu beweisender Standpunkt.

Deine Betrachtung hat ausserdem das Problem, dass Du mehrfach nahelegst, dass Krieg selbstverständlich zur Unterstützung durch die israelische Bevölkerung führt, aber genauso selbstverständlich falsch ist, und das Wohl, den Frieden der Israelis gefährde. Damit unterstellst Du der Mehrheit der israelischen Wähler, dass sie nicht wissen, was gut für sie ist, darüber kann man ja mal reden. Dass Du einer Regierung Tipps gibst, wie sie besser regieren soll, hätte ich Dir gar nicht zugetraut 😉 Auch dazu aber unten mehr.

Aus Interesse und Halbwissen frage ich rhetorisch nochmals nach: Gibt es in der Geschichte nicht nur Israels einen Defence-Futzi, der sich selber nicht als konsequenter Vertreter des Allgemeinwohls dargestellt hätte? Eine Invasion einer Stadt fällt natürlich leichter, wenn man sie als Staatsgebiet betrachtet, die Regierung international keine schlagkräftige Unterstützung hat, und die Raketen gegen das eigene Gewaltmonopol und Staatsbürger schiesst, und die eigentlich auch alle Deine Staatsbürger irgendwie weghaben will. Irgendwen anzugreifen, beispielsweise Griechenland, trifft die Sache nicht genau.
Und dass Laborparties alles andere als sozialistisch sind, ist weder eine israelische Besonderheit noch eine besonders neue Erkenntnis!

Das Beispiel August 2011:

Auch hier spekulierst Du: den Tsedek-Hevrati-Protest abzuwürgen sei das Ziel gewesen. Als Effekt war dies deutlich spürbar. Aber dass Vergeltung für den Angriff auf den Bus geübt wurde, verwundert Dich aber nicht. Du gibst sogar zu, dass Sicherheitspolitik oberste Priorität genießt, tust dann aber so, als wäre dies eine israelische Tradition und nicht grundsätzliche Staatsagenda.

Damals war ich neu in Israel, die Diplomatie mit Ägypten war schon ziemlich abgekühlt und als Vergeltung wurde neben Gaza auch ein ägyptischer Grenzposten angegriffen, was jeder Regierung einen prima Kriegsvorwand liefert. Ich muss gestehen, dass ich erleichtert war, dass „nur“ Gaza bombardiert wurde und weder Bibi, Jaabari, noch ägyptische Militärs zu viel krasseren Mitteln gegriffen haben. Ich weiss bis heute zum Glück nicht, wo in Tel Aviv Luftschutzbunker sind…

Die Sozialproteste sind im Sande verlaufen, Bibi freut’s. Zwar waren die Proteste unorganisiert, inhaltlich tief zerstritten und dem, was man mal Klassenkampf nannte, waren ein paar Studenten am nächsten, viele sind schlicht nach Feierabend spazieren gegangen. Das Chaos immerhin, das eine Millionen Menschen mit diffuser Unzufriedenheit auf der Strasse anrichten, will kein Staat als Dauerzustand ertragen. Also was tun, fragten sich Bibi und Co, und sind auf gesprächsbereite Demonstranten zugegangen, haben den Lebensmittelmarkt liberalisiert und Wohnungsvermittlungen eingerichtet. Es half nicht; Leute im Kapitalismus zufrieden zu stellen, ist nunmal kostspielig. Da kommt eine Gelegenheit zur Vergeltung schon gelegen, und sie fällt wie gesagt bei der Hamas deutlich leichter, als bei Ägypten.

Zum neuesten Stand 2012:

Die Einschätzung, dass Hamas wieder mehr Raketen abgeschossen hat – oder es geduldet hat – lässt sich schwer widerlegen.
Nun behauptet Baskin, dass es einen Entwurf für einen Waffenstillstand gab, der durch das Attentat an Jaabari ff. natürlich nicht mehr funktioniert. Du stellst es dar, als sei dieser Entwurf der große Wurf gewesen. Die Einschätzung ist sehr optimistisch, könnte man Dir vorwerfen. Dass auch das kleinere Übel, als das Du die Hamas beschreibst, sich momentan als nimmer-kriegsmüde Miliz mit großem Penis Raketenarsenal darstellt und kaum Interesse daran hat, mit Israel Frieden zu schließen, hinterlässt große Fragezeichen. Deine Befürchtung, dass noch Verrücktere die Macht übernehmen gehört ins Reich der Spekulationen! Eine Invasion liegt näher als Wahlen oder ein Putsch in Gaza.

Das Timing einer weiteren Invasion Gazas ist wesentlich! Das sind zwar politologische Details, aber im Hinblick auf das, was uns demnächst erwartet, recht interessant. Die USA sind mit Obama erstmal nicht für einen Krieg gegen die Mullahs und ihr Volk zu haben, deshalb bliebe der Winter friedlich. Für Bibi’s Standpunkt a.k.a. Israel nicht gerade nützlich: die Soldaten rosten. So kurz vor einem Luftangriff gegen den Iran ist es besser, wenn 16000 Soldaten zu den Waffen gerufen werden( und dem Ruf folgen). Selbst in Israel wird wahrscheinlich kein Krieg mit Iran so kurz vor den Wahlen angefangen, doch eine einsatzbereite Armee ist als Drohkulisse überaus nützlich.

Dass Bibi keine parlamentarische Mehrheit für seinen Haushalt findet, stellst Du als besondere Erkenntnis dar, obwohl es doch ein offizieller Grund ist. Genau kenne ich mich nicht aus, aber für gewöhnlich wird bestimmt auch in Israel im sogenannten sozialen Bereich gekürzt – und die verantwortliche Regierung dafür gehasst. In diesem Fall sind selbst die Regierenden nicht bereit oder nicht in der Lage, sich auf Kürzungen zu einigen. Und abgewählt zu werden für einen Haushalt, den sie selber nicht wollen, fänden die Bürokraten und Agenten des Allgemeinwohls sicherlich nicht gut. Dass vielleicht sogar eine idealistische Studentenpartei oder das, was sich noch ma’awak sozialisti nennt, demokratisch an die Machthebel kommt, ist für Konservative, Orthodoxe, Militärs, realistische Zionisten, also für eine – wie Du sagst – Mehrheit israelischer Wähler ein Grund zum patriotischen Urnengang. Aber das sind politologische Details, die nicht wirklich interessieren.

Wahlkampfkriege:

Am Ende Deines Textes machst Du zwei Fässer auf, die wesentlicher sind, als Bibis Kampf um seinen Machterhalt; den Iran und die Inflation.
Die „election time economy“ ist durch eine langweilige „Finanzkrise“ sehr teuer geworden, weil viele Investment-Futzis keine Kredite mehr geben oder dafür mehr Zinsen wollen, als Bibi zahlen will. Die Preise für Wohnungen, Klimaanlagen und Käse zu senken ist ohne staatliche Subventionen gar nicht einfach. Das Käsemonopol wurde zerschlagen, aber Liberalisierungen sind kein Allheilmittel, wenn Dir niemand im Umkreis von 500 Meilen Milch verkaufen will. Der Strom wird auch teurer, wenn in Ägypten die Pipelines brennen und ausser in Palästina ist nicht mehr viel Platz für billige Wohnungen…

Davon unterscheidest Du mit Uri Misgav die „election time wars“.
Erstens ist es nicht neu oder besonders israelisch, dass dem Staat und seinen Nationalisten die (Wieder-)Herstellung des Gewaltmonopols ganz besonders wichtig ist. Dir geht es im Text aber vielmehr um die zivilen Opfer, um die Kollateralschäden, um die jüdischen Toten, um die üblichen üblen Dinge, die passieren, wenn Israel in Gaza einmarschiert, und die neuerdings sofort bei Youtube zu sehen sind. Diese haben Einfluss auf Wahlen. Geschenkt Dass die Soldaten sich dessen bewusst sind, ist eine Fußnote dieser Gewalt.

Auch der Rest der israelischen Presse besteht – wie jede Presse auf der Welt – aus braven Staatsbürgern, die sich ihre Gedanken zum Geschehen machen, ohne das Gewaltmonopol des Staates zu hinterfragen. Im Gegensatz zu Dir und mir würden die wenigsten die Käsepreise und die Kriegsopfer in einem Artikel erwähnen.

Ich vermisse in Deinem Artikel den Aufruf zur Haushaltskonsolidierung durch Kürzungen bei den Rüstungsausgaben. Denn dann könnte ich darauf eingehen, dass die israelischen Regierungen seit jeher einen überdurchschnittlich großen Militärposten in den Staatsausgaben haben, weil sie dauernd in Kriegen mit irgendwelchen Nachbarregierungen oder separatistischen Palästinensern sind, und das eine Menge Geld kostet. Viele Zionisten zahlen das gerne durch ihre Steuern, wollen dafür aber wenigstens ein friedliches Leben ohne Palästinenser-ischen Terrorismus. Auch amerikanische und deutsche Banken geben dafür gerne Geld aus, in der Hoffnung, dass die cleveren Juden Israel es schon irgendwie zurückzahlen kann. Die deutschen Werften freuen sich, dass sie ein Dutzend U-Boote bauen, von denen Israel nur die Hälfte zahlt, den Rest der Kartoffelsteuerzahler *lol* deutsche Staat in der Hoffnung, im Iran gibt’s bald neue Märkte zu erschließen.

Willst Du denen ihre Israelsolidarität ausreden, die auf Fussball stehen, und gemerkt haben, dass Derbies wie the Old Firm schon irgendwie doof ist, weil sich die Leute ihre Schädel für bescheuerte Gründe einschlagen? Wenn nicht, wünsche ich mir mehr Deiner harten Analysen und weniger Rhetorik.

Freue mich schon auf Nachschlag!
Dein Shuky

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert